Katrin Buksted: ALLER ANFANG IST KLEIN, Kontakt und Jurystatement
Katrin Buksted: ALLER ANFANG IST KLEIN
JURYTEXT: DR. MAREIKE STOLL
In diesem Bilderbuch ist die Zartheit der gezeichneten Linien Programm. Vom Anfang erzählt es, vom Kleinen, das wächst. Auf humorvolle und dennoch tiefgründige Weise werden einige Anfänge, wie etwa der beginnende Schimmel in der im Schulranzen vergessenen Brotbox während der Sommerferien, mit den gewichtigeren, größeren Anfängen des entstehenden menschlichen Lebens während der Schwangerschaft verbunden und visuell gekonnt nebeneinandergestellt. Die Zeichnungen halten dieses Spektrum virtuos zusammen und lassen den Leser*innen den Raum, eigene Beispiele und Bilder von Anfängen zu finden, die letztlich dem am Ende skizzierten Thema der Verantwortung, wie es hier angedeutet wird, auf vielschichtige Art gerecht werden. Ein leichtfüßig anmutendes Buch, das sehr viel mehr an philosophischer Tiefe bereithält, als es auf den ersten Blick erahnen lässt. Denn gerade die Offenheit und Leichtigkeit der Illustration passt auf das Genaueste zu dem, wovon dieses Buch handelt: es macht Mut, sich den Anfängen unserer Zeit mit eben dieser spielerischen Tiefe zu widmen und davon ausgehend ins Größere zu denken.
May Franzen: BETWEEN ANIMALS, Kontakt und Jurystatement
BETWEEN ANIMALS
JURYTEXT: PROF. MARTIN TOM DIECK
„Between Animals“ präsentiert uns auf einer Abfolge von gut 25 comichaften, wortlosen Doppelseiten einen Reigen der Verwobenheit des Lebens und Erlebens von Tieren in von Menschen geprägten Habitaten. Jede Doppelseite zeigt jeweils eine Tierart, die mit einer in der Seitenfolge vorangehenden oder nachfolgenden Lebensraum oder Gewohnheiten teilt. Menschengemachtes ist allgegenwärtig, Menschen stehen aber nicht im Zentrum. Jedes Umblättern ergibt einen Perspektivwechsel. So werden uns zahlreiche andere Blicke eröffnet, und der auf Menschen spricht von wenig freundschaftlichen Verhältnissen. May Franzen nennt ihre visuelle Erzählweise „grafische Poesie“, und deren nüchternes Schwarz-Weiss entspricht einem eindringlich unromantischen und in dem Facettenreichtum fast immersiven Panorama der Blicke von Wesen aus der menschennahen Natur. Ein ungewöhnliches Buch, das nachhaltig Eindruck macht!
Charlotte Götze, ARMES HÄSCHEN BIST DU KRANK, Kontakt und Jurystatement
charlotte.goetze@web.de
ARMES HÄSCHEN BIST DU KRANK
JURYTEXT: DR. DAGMAR GAUSMANN
Charlotte Götze nimmt uns mit auf die Reise in die Vergangenheit eines der geschätzt 8-12 Millionen „Verschickungskinder“, die in den 50er bis noch in die 90er Jahre hinein zu oft Opfer eines finsteren Kapitels „schwarzer Pädagogik“ wurden.
Für Wochen in Erholungsheime geschickt, um dort an Körper und Seele zu gesunden, erlitten sehr viele von ihnen im Gegenteil seelisch und körperlich ihr weiteres Leben prägende Verletzungen.
Die erzählende Person ist ein solches Kind, das sich, so erfahren wir es am Ende des auf mindestens 200 Seiten angelegten Buches, erst in ihrem 5. Lebensjahrzehnt durch eine Therapie darüber klar wird, warum sich ihr Leben seit dieser „Verschickung“ so grundverkehrt anfühlte. Wir sehen diese Frau als Kind in ihre Vergangenheit reisen. Die Welt des Verschickungsheimes wird durchgängig metaphorisch dargestellt durch von Szene zu Szene dichter wucherndes, urwaldähnliches Grün, eine Vegetation, die nicht beruhigend, sondern verschlingend anmutet. Begleitet wird die Frau/das Kind auf dieser Reise immer von einem Hasen, mal kleines Häschen, mal ausgewachsener Feldhase. Kinderlieder und Zitate aus dem deutschen Bildungsgut erhalten durch ihre Kontextualisierung mit den Verhältnissen in den Heimen einen gruselig-leitmotivischen Ton.
„Armes Häschen, bist du krank“ ist ein mit Engagement recherchiertes und ein vegetativ wuchernd illustriertes, womöglich Sachbuch zu nennendes, es ist ein Buch darüber, wie individuelle Heilung möglich werden kann, indem man sich seiner Vergangenheit stellt. Dabei helfen Bilder! Das illustriert Charlotte Götze hier als Möglichkeit der Traumabewältigung auch für andere Betroffene. Daher ist Götzes Buch genau richtig als Einsendung zu einem Bilderbuchpreis.
Denn das Buch entfaltet seine ganze Wucht durch Bilder, starke und oft grausame und böse Bilder, die die kleinen zarten Kindergestalten bedrohen und bedrängen.
Sehr viele der Bildseiten des Buches hat Charlotte Götze für ihre Einreichung schon ausgestaltet, digitale Collagen und Bildfindungen, die den Blick fangen und zum Weiterlesen und -blättern animieren. Man wird mit in den dunklen Wald der Erinnerung genommen, leidet mit, hat Angst vor den Erzieherinnen, die nicht nur Nonnen waren, aber alle „Heimeltern“ haben Ziegenköpfe mit aggressiven Hörnern. Die Leserin hat darüber auch bald Angst, ist selbst ein kleines Kind und kann es nicht fassen, was sich da vor ihrem Auge entfaltet. Eine kalte, nahezu sadistisch anmutende Welt, in der Kinder wehrlos den „Erziehungsmaßnahmen“ ausgeliefert waren.
Kann man das lesen? Kann man das anschauen? Hilft das? Heilt das? Die Jurymitglieder waren sich länger uneins. Aber doch! Letztendlich ja! Denn es waren Millionen von Kindern „in der Verschickung“. Und die Dunkelziffer der Geschädigten ist hoch.
Dieses Projekt sprengt einmal mehr die gewohnten Grenzen der Gattung Bilderbuch. Vermutlich würden wir uns so eine Geschichte heute eher als Graphic Novel vorstellen können.
Was ist ein Bilderbuch? Unter anderem ist es ein Buch, in dem Bilder das wörtlich Geschriebene um eine weitere Dimension bereichern. Das ist in Götzes Projekt der Fall. Bei all dem Grauen, das dargestellt wird, ist dieses Buch und vor allem seine gestalterische Methode der Annäherung durch die Collage auch Ermutigung, sich mit individueller Vergangenheit zu beschäftigen. Auf einem assoziativen „Bilderfahrzeugweg“ gelingt das womöglich besser, als in der alleinigen Suche nach den richtigen Wörtern für das Unsagbare.
Mit einem guten Lektorat und dem Mut zu Kürzungen wird das ein Buch, das nicht nur den Betroffenen Stimme verleiht und Unwissende aufklärt. Dieses Buch lässt uns auch heute als Gesellschaft darüber nachdenken, wie Kinder in unserer Gemeinschaft leben und was uns ihre Rechte bedeuten.
Saeyeon Kim: 153 GOOD REASONS TO BE 153 CM, Kontakt und Jurystatement
saeyeonkim96@gmail.com
Saeyeon Kim: 153 GOOD REASONS TO BE 153 CM
JURYTEXT: ELSA KLEVER
„153 good reasons to be 153cm“ oder auch „viele gute Gründe klein zu sein“ ist eine kreative und humorvolle Sammlung der vielen Vorteile, die es hat, wenn man kleiner als alle anderen ist.
Die 153cm sind dabei nicht so genau zu nehmen, denn das Ganze wird von der Illustratorin Saeyeon Kim wunderbar auf die Spitze getrieben.
Man braucht nicht nur weniger Bodylotion als alle anderen, sondern kann es sich auch in einem Kängerubeutel gemütlich machen, mit einem Pusteblumen-Samen fliegen oder ein Klopapierblatt als Decke benutzen. Saeyeon Kims Zeichnungen (und Texte) sind im besten Sinne einfach, charmant naiv und vor allem sehr witzig. Minimal kolorierte Strichzeichnungen und simple Figuren, die auf das Wesentliche reduziert sind: Oft gibt es nur Augen und Augenbrauen, manchmal auch Münder, wenn sie eine Rolle spielen.
Die Illustratorin, selbst 153cm groß, hat das Buch ihrem Vater, Brunder und besten Freund gewidmet, die alle über 1,80m sind. Ihr Vater hat sie oft gefragt: „Was hast Du gemacht, als die anderen gewachsen sind?“ Sie sagt „Ich bin auch gewachsen, nur etwas langsamer“ und das hat offensichtlich viele gute Gründe.
Die zahlreichen Vorteile des Klein-Seins werden in diesem Büchlein auf kreative, humorvolle und verspielte Art und Weise verdeutlicht und machen einem Lust weiterzublättern.
Veronika Plainer: POMMES UND PIRATEN, Kontakt und Jurystatement
veronika.plainer@gmail.com
POMMES UND PIRATEN
JURYTEXT: PROF: MARTIN TOM DIECK
Ein Kinderbuch als Erinnerung an das Verabschieden von Kindheit ist ein spezielles Unterfangen. In dem was die Illustratorin Veronika Plainer in diesem Buchprojekt zeigt, sind die besonderen, persönlichen Erinnerungen eine Schicht dessen, was wir sehen. In den Motiven sehen wir zugleich Facetten von unbeschwertem Erleben, die auch über das Individuelle hinaus nachempfunden werden können. In ihnen findet Zeitlichkeit an sich und das Subjektive des Erinnerns einen visuellen Ausdruck durch verschiedene Kontrastierungen. In jedem Bild leuchtet ein warmes Orange aus verschiedenfarbigen Grautönen hervor, flächige Darstellungen sind mit linearen kombiniert und suggerieren fragile Wirklichkeiten. Flächen lösen sich auf wie verblassende Erinnerungen, und durch die malerischen Schichten deuten fotografische Elemente ein Faktisches an, das sich in die Wirklichkeit des Empfundenen hineindrängt. Doch statt einer bloßen Melancholie können wir durch die locker und gekonnt eingesetzten Mittel in diesem kleinen visuellen Wunderwerk die gegenseitige Durchdringung von Erleben, Empfinden und Erinnern wiedererkennen, die als eine besondere Sphäre innerer Gegenwart uns alle auszeichnet!
Le Thu Tran: MEIN LANGER HUND, Kontakt und Jurystatement
l.t.tran1993@gmail.com
MEIN LANGER HUND
JURYTEXT: DR. MAREIKE STOL
Le Thu Trans Buch „Mein langer Hund“ bezaubert durch die konsequent in die Form gebrachte Idee. Ein Leporello von beachtlicher Länge entfaltet sich Bild für Bild und feiert den titelgebenden langen Hund als wunderbaren Spielgefährten in vielen Situationen: beim Spazierengehen und Kuscheln, Versteck-Spiel und beim Baden im See, um nur einige wenige zu nennen. Ganz leichtfüßig zieht sich der wirklich sehr lange Hund durch das Faltbuch, denn zwischen den Buchdeckeln faltet er sich zusammen wie eine Ziehharmonika und wird zu einem Raumwunder im Buch. Das Leporello akzentuiert spielerisch und gewitzt die visuellen Übergänge von Blatt zu Blatt. Kinder verschiedenen Alters werden sofort Kopf, Mittel- und Hinterteil miteinander in Verbindung bringen und als Hund verstehen – während sicher manche Erwachsene beim flüchtigen Hinsehen nur eine abstrakte Linie sehen, die doch zum langen Hund wird, wenn man sich dem Buch mit etwas mehr Aufmerksamkeit widmet. Und die sollte man ihm unbedingt zu Teil werden lassen! Das Buch verbindet Mut zum Format mit einer einfachen Idee, durch die Farben und den Witz in der Umsetzung aber wird es zu einem kleinen zauberhaften Bilderbuch, das durchaus zum Nachdenken einlädt über das, was wir auf den ersten oder erst auf den zweiten Blick sehen.
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Laura Seitz: PORZELLANHUNDE, Kontakt und Jurystatement
hello@lauraseitz.art
PORZELLANHUNDE
JURYTEXT: PROF. DR. TOBIAS KURWINKEL
Eine kulturelle und soziale Praxis war das Flanieren der Bohème im 19. Jahrhundert; ziellos streiften die Décadents und Dandys durch die (Groß-)Städte, auf der Suche nach Sensationen. Jedes Detail konnte ihre Aufmerksamkeit erregen, Gegenstand ihrer Beobachtung und damit Anlass werden, sich in der städtischen Atmosphäre zu verlieren.
„Völlig außerhalb von jeder Absicht und ohne einen Gedanken daran“, so schreibt Marcel Proust kongenial in Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, „fühlte ich […] meine Aufmerksamkeit plötzlich gefangen von einem Dach, einem Sonnenreflex auf einem Stein, dem Geruch eines Weges.“
Laura Seitz‘ Bilderbuch Porzellanhunde erinnert an das, was Proust schildert, an die Praxis der Flânerie, an das genaue, feine Beobachten im städtischen Raum. „Wahre Begebenheiten aus dem Alltag“ porträtiert sie in Bild und Wort in ihrem Buch: Obststeine, die ausgetrockneten Ranken einer Kletterpflanze an einem Zaun, ein wie ein Buch aufgeschlagener Koffer, der sich selbst überlassen mehr und mehr mit der Natur verschmilzt. Es sind die kleinen Dinge, die Seitz „in verschiedenen Temperaturen irgendwie bewegt haben“, denen nach ihrer Überzeugung „eine gewisse Seltsamkeit innewohnt“. Einen „Erkundungssommer“ lang hält sie die „Begebenheiten“ der Elbstadt in wunderschönen Aquarellen und lyrischen Sätzen fest. Dabei gelingt es ihr, eine Verbindung zwischen ihrem Inneren und dem Äußeren der Stadt herzustellen und in ihrem Buch abzubilden: Ihre sprachlichen Reflexionen perspektivieren die naturalistisch gemalten Fundstücke auf eine eigene, besondere Art, scheinen das Unbelebte zu beleben – und umgekehrt.
Laura Seitz‘ Bilderbuch ist ein Aufruf zum Hinsehen, ein Appell, die Schönheit des Kleinen statt des Großen zu feiern – und eine Bilderbuchhommage an Hamburg.
Leonie Vogt: WO IST DER BALL?, Kontakt und Jurystatement
leonie.vogt@outlook.com
WO IST DER BALL?
JURYTEXT: ANNA JANKE
„Wo ist der Ball?“ von Leonie Vogt ist ein Wimmelbuch, das mit eigenständigem Stil, feinem Humor und souveräner Bildkomposition überzeugt.
Wie es sich für ein Wimmelbuch gehört, ist jede Seite randvoll mit Details, überraschenden Szenen und kleinen Geschichten, die zum genauen Hinsehen und Entdecken einladen. Doch statt der üblichen Überfülle an Kinderfiguren begegnen wir hier eigenwilligen Sportler:innen mit Charakter. Die Gesichtsausdrücke sind präzise, die Körperhaltungen voller Dynamik.
Die gedeckte Farbpalette, das klare Farbkonzept und wiederkehrende Muster und Formen bringen Ruhe ins wimmelnde Chaos, sodass das Auge trotz der Fülle entspannt auf Entdeckungsreise gehen kann – immer auf der Suche nach dem einen Ball. Monochrome Farbflächen, aufgebrochen durch rauhe, kratzige Strukturen und feine Linien, verleihen den Bildern eine ganz eigene Haptik.
Die verschiedenen Ballsportarten sind ein kluges Vehikel für eine Fülle an Bildwelten, in denen es schräge Typen, fantastische Tiere und absurde Situationen zu entdecken gibt. Macht Spaß!
Diana Walter: BRACH, Kontakt und Jurystatement
info@dianawalter.ch
BRACH
JURYTEXT: ANNA JANKE
Mit „Brach“ legt Diana Walter eine Graphic Novel vor, die inhaltlich wie gestalterisch aus dem Mainstream herausragt. Im Mittelpunkt steht eine Kreuzkröte, die sich mit Witz, Selbstbewusstsein und einer ordentlichen Portion Sturheit weigert, wegen einer Baustelle ihren geliebten Flecken Erde zu verlassen – so stur, dass sie am Ende sogar vor Gericht landet. Die Erzählperspektive ist lakonisch, humorvoll und angenehm unbelehrend – und eröffnet so einen ganz neuen, überraschenden Zugang zum Thema Naturschutz und den Verlust von Lebensräumen.
Formal überzeugt „Brach“ durch seine experimentelle Umsetzung: Die Illustrationen in kräftigen, erdigen Tönen verbinden Aquarell, Gouache, Neopastel und Bleistift zu einem matschig-lebendigen Gesamteindruck. Die verschmitzte Kröte zeigt mit wenigen Strichen jede Menge Charakter. Malerische Doppelseiten wechseln sich mit filmisch komponierten Panels ab. Bilder und Text sind offen für absurde Details und Humor – etwa, wenn die Kröte empört auf die Frage reagiert, ob sie auf der Baustelle schon gelaicht habe: „Das ist privat!“Dieses Buch ist ein Gewinn für die Shortlist, weil es Mut zur ungewöhnlichen Perspektiven beweist, formal wie inhaltlich neue Wege geht – und mit seiner starken Bildsprache und der charismatischen Kröte lange im Kopf bleibt.